Alexandra Bachzetsis – A MANUAL FOR DESIRE
Können Bewegungen erfunden werden? Oder gibt es immer nur einen vorgegebenen Katalog von Bewegungen, aus dem man auswählt, um den eigenen Körper zu konstruieren? Ihre Antwort auf diese Fragen kann bestimmen, welcher Art von Körperkonzepten Sie sich anschließen: Sie sind vielleicht ein Platoniker der politischen Anatomie oder, im Gegenteil, ein Nietzscheaner der körperlichen Bewegung. Oder um es in kybernetischer statt in philosophischer Sprache auszudrücken: Könnten Sie sich vorstellen, dass Bewegungen innerhalb einer festen kulturellen Software geschrieben werden und dass unsere Körper wie anatomische Hardware nichts anderes tun, als den Code auszudrücken.
Oder alternativ könnte man glauben, dass das, was politische Freiheit und ästhetisches Handeln charakterisiert, eine gewisse (sogar begrenzte) Fähigkeit ist, neue Bewegungn des Ausdrucks zu erfinden. Diese letztere, eher riskante nietzscheanische Auffassung von der Bewegung impliziert, dass der Körper ein Betriebssystem ist, das in einer offenen Betaversion programmiert wurde und immer bereit ist, modifiziert zu werden. Und in diesem Szenario sind die Testpersonen nicht Konsumenten eines bestimmten Repertoires von Bewegungen, sondern eher Co-Programmierer, die im Laufe der Zeit dazu beitragen, ein völlig neues Betriebssystem aufzubauen. Ihre Antwort auf diese Fragen kann auch definieren, was für einen Körper Sie am Ende „haben“ (obwohl Sie ihn nie besitzen), und darüber hinaus, wer Sie am Ende werden könnten.
Um es deutlicher auszudrücken: Am Ende des Tages sind Sie Ihre Bewegungen. Nichts anderes. Ihr Leben könnte als eine Beschreibung aller Bewegungen, die Sie je verkörpert haben, erzählt werden. Gehorsame Bewegungen, verrückte Bewegungen, traurige Bewegungen, fröhliche Bewegungen, steife Bewegungen, flexible Bewegungen, stille Bewegungen, laute Bewegungen, eckige Bewegungen, weiche Bewegungen, Bewegungen des Triumphs, der Gewalt, des Mitgefühls, Bewegungen, die willkommen heißen, Bewegungen, die ablehnen, Bewegungen der Hingabe, der Verachtung, der Freude … eine Biographie ist eine Abfolge von Bewegungen. Und deshalb ist die Wahl der eigenen Seite, zwischen der platonischen oder der nietzscheanischen Bewegungen, eine Lebensentscheidung.
Für einen Platoniker der politischen Anatomie gibt es in diesem festen Repertoire körperlicher Bewegungen gute und schlechte Bewegungen: zum Beispiel gibt es echte weibliche und echte männliche Bewegungen, außerhalb derer es nur Pathologie, Falschheit und Parodie gibt. Dementsprechend sind Körper bewegliche Objekte, die lernen, den Geschlechterkanon zu verkörpern und nach performativer Perfektion streben. Das Ziel eines Platonikers ist es, Identität zu konstruieren: ein Mann, eine Frau, ein Kind, ein Vater, eine Mutter, ein Amerikaner usw. zu sein. Aber wenn Sie ein Nietzscheaner der körperlichen Bewegungen sind, nehmen Sie die Herausforderung an, dass der Körper seine eigenen Bewegungen im Leben findet und erfindet, dass er neue Beziehungen eingeht, dass er ständig neue Bewegungen ausprobiert, dass er vibriert, bis die Seele einen neuen Ausdruck in der Materie findet. Die Aufgabe eines Nietzscheaners ist die Desidentifikation: sich der gegebenen Bewegung zu entziehen, die Bewegung zu dekontextualisieren und eine Lücke im Protokoll einzuführen.
In „An ideal of Living“ bietet Alexandra Bachzetsis weder eine Antwort an, noch wählt sie zwischen diesen Körperpolitiken, sondern führt uns zur Frage selbst zurück und lässt uns weiter hinterfragen: Sind Sie ein Platoniker der politischen Anatomie oder ein Nietzscheaner der körperlichen Bewegung? Sind Sie eher Objekt oder Subjekt? Wie wählen Sie Ihre Bewegungen aus? Haben Sie jemals eine Bewegung gestohlen? Werden Sie jemals eine Bewegung erfinden?
BESONDERER DANK AN Andreas Melas und Adam Szymczyk
Text (übersetzt aus dem Engischen): Paul B. Preciado
SHOWS
FITART | FEMALE BODY - Roehrs & Boetsch Gallery Schweiz
Dienstag, 8. Dezember 2020,
Beginn der Ausstellung
Mittwoch, 8. Dezember 2021,
Ende der Ausstellung
Wild Thing - Modeszene Schweiz | Museum für Gestaltung Zürich
Freitag, 11. Dezember 2020,
Beginn der Ausstellung
Sonntag, 11. April 2021,
Ende der Ausstellung
TEAM
Konzept
Alexandra Bachzetsis
Mitarbeit, PRODUKTION, GESTALTUNG
Sotiris Vasiliou
GRAFISCHE GESTALTUNG
Julia Born
Management
Marina Miliou; All Exclusive, Anna Geering und produktionsdock, Franziska Schmidt
Produktion
Celya Larré
KURATOR
Olivier Kaeser
INSTALLATION
Gaël Angelis, Kevin Desert mit Guillaume-van Roberge und Martin Lord
KOMMUNIKATION
Léopoldine Turbat
VERWALTUNG
Dominique Martin
BESUCHERDIENST
Rose Barberat, Geoffrey Peres, Lia Rochas-Paris, Tristan Savoyen
LINKS
BOOKING
Franziska Schmidt franziska@produktionsdock.ch